Heribert Prantl beleuchtet ein Thema, das Politik und Gesellschaft (nicht nur) in dieser Woche beschäftigt.
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5. März 2023
Prantls Blick
Die politische Wochenschau
Prof. Dr. Heribert Prantl
Kolumnist und Autor
SZ Mail
Guten Tag,
Noch nie habe ich mich über einen Papst so gefreut; noch nie habe ich mich über einen Papst so geärgert; noch nie habe ich über einen Papst so viel geschmunzelt. Ich habe das erste Mal geschmunzelt, als er sich beim Amtsantritt vor zehn Jahren weigerte, die Prachtgewänder des Pontifex anzuziehen: „Der Karneval ist vorbei“, meinte er zur Begründung und verzichtete, unter anderem, auf die roten Schuhe. Und zuletzt habe ich über ihn geschmunzelt, als er, von einer Nachrichtenagentur auf sein Alter und seinen Gesundheitszustand angesprochen, mit trockenem Humor erklärte: „Ich könnte morgen sterben, aber sonst geht es mir gut.“ Sorgen über körperliche Beschwerden, die ihn immer wieder in den Rollstuhl zwingen, schiebt der alte Herr gut gelaunt beiseite: „Man regiert mit dem Kopf, nicht mit dem Knie.“

Ich mag diesen Papst. Ich mag ihn, weil er seine erste von bisher vierzig Reisen nach Lampedusa gemacht hat - um der im Mittelmeer ertrunkenen Flüchtlinge zu gedenken und um die Welt aus ihrer Gleichgültigkeit aufzurütteln. Ich mag ihn, weil er einen bescheidenen Lebensstil pflegt. Ich mag ihn, weil er den Abschied von der kolonialen Kirche vollzogen hat. Und ich mag ihn schon deswegen, weil er sich Franziskus genannt hat. Kein anderer Papst hat sich bisher diesen Namen gegeben. Und der Name ist Programm: Er nennt sich nach dem beliebtesten und radikalsten aller Heiligen, nach dem Mann, der die nackte Armut gepredigt und gelebt hat – Franz von Assisi. Dessen Botschaft steht im krassen Widerspruch zum Prunk der Amtskirche. 

Der neue Sonnengesang 

Der Sonnengesang des Franz von Assisi, ein paradiesischer Lobpreis der Schöpfung, ist Gebet und Hit eines Jahrtausends. Es gibt Historiker, die Franz von Assisi für den Retter des christlichen Glaubens halten. Folgt Papst Franziskus seinen Spuren? Ja, wenn es um solidarische Ökonomie und Ökologie geht, ist er von bewundernswerter Radikalität; bei innerkirchlichen Reformen aber fehlen ihm die Verve, die Klarheit, die Zielstrebigkeit und die Entscheidungsstärke. Das enttäuscht mich, das ärgert mich, weil ich mir so viel von ihm erhofft und erwartet habe, auch die missionarische Erneuerung der Kirche, die er in seinem umstürzlerischen Text „Evangelii Gaudium“ propagiert, aber nicht in die Tat umsetzt. Wird er gebremst von der Kurie im Vatikan, von den Kurienkardinälen? Oder ist er doch zu sehr verhaftet im alten Denken, das den Frauen eine dienende Rolle zuschreibt? Franziskus schreibt, es sei „inakzeptabel, dass eine Person weniger Rechte hat, weil sie eine Frau ist.“ Gleichzeit lehnt er aber das Frauenpriestertum ab. Zur Auflösung der männerbündischen und patriarchalen Machtstrukturen in der Kirche trägt er wenig bei. Es bleibt bei der Ausgrenzung der Frauen. Kann er nicht anders, will er nicht anders? Es ist dies der blinde Fleck von Papst Franziskus. 

Seine Enzyklika „Laudato Si“ aus dem Jahr 2015 ist wie eine Fortsetzung des Sonnengesangs des Franz von Assisi. Papst Franziskus erklärt darin die Atmosphäre, die Ozeane und die Regenwälder zum globalen Eigentum, dem das private Eigentum untergeordnet ist. Das ist spektakulär. Seine Reden und sein Tun bei den innerkatholischen Reformen sind es auch, aber im negativen Sinn. Seine spontanen Äußerungen in Interviews sind manchmal frivol, wenn er feststellt, Katholiken müssten sich nicht „wie Karnickel“ vermehren, manchmal auch befremdlich unbedacht, wenn er den synodalen Weg der Katholiken in Deutschland überheblich abmeiert und sagt, es gebe doch dort schon eine „sehr gute evangelische Kirche“, „wir brauchen nicht zwei davon“.  Mit solchen so dahingesagten Äußerungen ist er nicht Pontifex, sondern ein irritierender Spontifex. Er kennt die Reformbedürftigkeit seiner Kirche; er sollte daher denen, die sich um diese Reformen mühen, so geschwisterlich begegnen, wie er es in seinen Enzykliken beschreibt und verlangt.
SZPlus Prantls Blick
Papst der Armen, armer Papst
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Ich wünsche Ihnen eine gute Frühlingswoche.
Ihr
Heribert Prantl
Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung
SZ Mail
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Prantls Leseempfehlungen
SZPlus CSU
Braucht es die überhaupt?
Wäre der SZ-Kollege Roman Deininger nicht Journalist, sondern Arzt, dann stünde bei ihm „Facharzt für Söderologie und Parteienweh“ auf dem Praxisschild. Deininger hat kluge Bücher über den bayerischen Ministerpräsidenten und die CSU geschrieben. Zum Auftakt des Wahlkampfes (am 8. Oktober ist Landtagswahl in Bayern) hat Deininger nun den Wahlkämpfer Söder selbst ausgiebig untersucht und das Ergebnis am Wochenende im Feuilleton festgehalten. Deininger stellt unter anderem fest, dass es sich die CSU zu ihrer Stärke gemacht habe, Widersprüche auszuhalten - und Söder habe dieses Prinzip perfektioniert: „Er kann in der einen Woche der Kapitän von Team Vorsicht sein, und schon in der nächsten der Kapitän von Team Freiheit. Hauptsache Kapitän.“ Deininger analysiert und diagnostiziert aber nicht nur den Wahlkämpfer Söder, er gibt auch Ratschläge dafür, wie man mit ihm und seiner Partei umgehen soll.
Seine „Gebrauchsanweisung für das politische Bayern“ ist überschrieben mit dem Titel „Witz und Wahn“ und empfiehlt unter anderem „ein umsichtiges Empörungsmanagement“. In diesem Zusammenhang erinnert Deininger daran, dass Söder kürzlich fallen gelassen habe, dass er sich seiner Verkündigung, maximal zehn Jahre Ministerpräsident sein zu wollen, nicht mehr verpflichtet fühle. „Darüber“, so Dr. Deininger, „kann man sich natürlich brutal aufregen, aber eben auch nur, wenn man die Tollheit begangen hat, eine Söder-Ankündigung jemals wörtlich zu nehmen.“  Der Blick des Autors in die Zukunft: „Das Modell robuste Führung kommt nie dauerhaft außer Mode, und für einen Söder ist das Spiel deshalb nie vorbei, allenfalls bei 34 Prozent am Abend des 8. Oktober“.  Zur Erinnerung: Das CSU-Ergebnis bei der Landtagswahl vor fünf Jahren war so desaströs, dass es diesmal ohnehin nur besser werden kann. Damals war die CSU um 10,5 Prozent auf 37,2 Prozent abgestürzt, sie erzielte ihr schlechtestes Ergebnis seit 1950.
Das alles schreibt Deininger sachkundig, launig und mit einer guten Portion Selbstironie auf. Vergelts’s Gott. 
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Der Glanz der alten Tage
Nicht so launig, aber dafür sehr umfangreich beschreibt Rudolf Hanisch die Partei Söders in seinem Buch „CSU in der Krise. Eine Volkspartei am Scheideweg.“ Es ist dies ein Buch für Stoiberisten und für diejenigen, die von den Zeiten der absoluten CSU-Mehrheit in Bayern träumen. Hanisch, 77, ist Jurist und ehemaliger bayerischer Spitzenbeamter, er war Referent für politische Grundsatzfragen bei Ministerpräsident Franz Josef Strauß, Leiter des Ministerbüros von Edmund Stoiber in dessen Zeit als Innenminister, er kam dann mit Stoiber in die Staatskanzlei und war dort Amtschef. Seine Karriere ist mit Stoiber aufs Engste verbunden. Das Fazit von Hanisch: „Mit einer zunehmend neoliberalen und populistischen Ausrichtung“ habe die CSU ihren Erfolgsweg verlassen. Ihre Glanzzeiten seien vorbei, sie habe ihre Dynamik verloren und sei „in die größte Krise ihrer Geschichte geraten“. Zunehmend populistische Ausrichtung? Das ist ein schelmischer Vorwurf, weil eines der Hauptkennzeichen der CSU seit jeher der Populismus war und ist. Und neoliberal? Den größten neoliberalen Anfall hatte die CSU zu Zeiten von Stoiber als Parteichef und Ministerpräsident: Stoiber privatisierte die Energieunternehmen, er ökonomisierte den Staatsforstbetrieb und er verbetriebswirtschaftlichte die Staatsverwaltung. Interessant ist, wie hoch Rudolf Hanisch (zusammen mit seinem einstigen Chef) die Latte für die nächste Landtagswahl legt: „Edmund Stoiber sieht nach wie vor das Potenzial für eine absolute Mehrheit“. Strauß würde darauf sagen: „Ultra posse nemo obligatur / Niemand kann verpflichtet werden, Unmögliches zu leisten“.  Die Söder-CSU wird mit 37 bis 40 Prozent gut zufrieden sein.

Rudolf Hanisch: CSU in der Krise. Eine Volkspartei am Scheideweg. Das Buch hat 223 Seiten und ist Ende 2022 im Verlag Attenkofer erschienen. Es kostet 24,80 Euro
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