Liebe Leserin, Lieber Leser,
sind Sie auch so schockiert davon, wie der neue US-Vizepräsident J.D. Vance Europa und Deutschland beschimpfte bei der Münchner Sicherheitskonferenz am Wochenende? Ich eher nicht. Allenfalls über all die Schockierten. Wer dauernd schockiert ist, war vorher vielleicht nur zu faul, naiv oder arrogant, den Rest der Welt verstehen zu wollen?
Überraschend kam diese zweite „Zeitenwende“ nämlich nicht, die jetzt unser wichtigstes Bündnis, das zu den USA, existenziell belastet. Und sie hat durchaus mit der ersten „Zeitenwende“ zu tun, die Olaf Scholz am 27. Februar 2022 ausrief. Damals als Antwort auf den russischen Ukraine-Angriff, der die erste Zäsur darstellte.
Aber nicht nur in Berlin, sondern auch in Brüssel tat man seither so, als gehe alles weiter, wie es vorher schon nicht war. Auch die EU hat alles verschlafen, was sie spätestens seit 2022 hätte angehen müssen: eine gemeinsame Verteidigungsstrategie, neue Ausgaben-Prioritäten, mehr Sicherheitspolitik nach innen wie nach außen – es ist ja nicht so, dass Brüssel allzu große charismatische Kraft entwickelt hätte, oder?
In vielen EU-Ländern erstarkten konservative bis radikale Parteien. Die Europawahlen im vergangenen Jahr waren ein Desaster für die selbsternannte demokratische Mitte. Und unaufhaltsam näherte sich die Wiederwahl von Donald Trump, der schon während seiner ersten Amtsperiode als US-Präsident klare Ansagen machte. Zum Beispiel dass Europa deutlich höhere Nato-Beiträge zahlen müsse für seine letztlich von den USA garantierte Sicherheit. Es wollte nur niemand hören, dass es künftig nichts mehr geschenkt gibt. |