| Sollte der Newsletter nicht angezeigt werden, klicken Sie bitte hier |
| | | | | Guten Tag, âUnd ehrlich, ich müsste auch mal wieder zum Friseur.â Das sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder dieser Tage. Und ehrlich, mir fiele manches ein, was Söder noch dringender nötig hätte als einen Haarschnitt. Weil er aber zurzeit so ungeheuer populär ist, sogar bei etlichen Leserinnen und Lesern dieser Kolumne, will ichâs bei allgemeinem Grummeln belassen und mich stattdessen dem eigentlichen Thema zuwenden: dem Haarschnitt. Gegenwärtig ist es ja schwierig mit dem Haarschnitt. (Ich werde mich bemühen, dass ich auch in dieser Woche in diesem Brief das C-Wort vermeide. Man hört, liest und spricht es viel zu oft.) Weil ich aus eigener Betroffenheit mehr von männlichem als von weiblichem Haar verstehe, weià ich, dass es im Leben vieler Männer zwei Phasen gibt, in denen ihnen die Haare besonders wichtig sind. Die eine Phase beginnt mit der Pubertät, die bei manchen Männern ungefähr bis zum 52. Lebensjahr dauert. Wenn man jünger ist, versteht man die Frisur auch als einen Ausdruck der Weltanschauung; sie ist, als Journalist gesprochen, gewissermaÃen ein Leitartikel auf dem Kopf. (Unter Journalisten, auch unter älteren, gibt es einige, deren Identität sowohl durch Leitartikel auf dem Kopf als auch, gleichzeitig, durch Leitartikel im Kopf mitbestimmt wird.) Als jüngerer Mann jedenfalls lässt man sich entweder die Haare sehr lang wachsen, um gegen das Establishment zu protestieren, oder man schert sie sich nahezu glatzenkurz, um ebenfalls gegen das Establishment zu protestieren. Beides funktioniert eigentlich nur, solange man genug Haare auf dem Kopf hat, um sowohl die Matte als auch die Glatze als einen Akt freiwilligen Andersseins präsentieren zu können. Die zweite Phase hängt mit der Erkenntnis zusammen, dass einem die Haare ausgehen. Man kämmt links rüber oder rechts rüber und bemerkt dennoch, wie auf beiden Seiten die Stirn immer höher wird. Am Hinterkopf breitet sich auÃerdem eine zisterziensermäÃige Lichtung aus. Ja, ja, Haarausfall trifft auch jüngere Männer. Und es gibt ältere bis alte, die wie der in Haarfragen stets gerne erwähnte Gerhard Schröder, vergangene Woche 76 geworden, erstaunlich bis verdächtig volles, gar dunkles Haar haben. Mick Jagger, nicht ganz ein Jahr älter als Schröder und eines der politischen Vorbilder des ehemaligen Kanzlers, hat fast noch mehr Haare als der FuÃballtrainer Jürgen Klopp, der 30 Jahre jünger ist als Silvio Berlusconi. Beide, Klopp und der Cavaliere, haben sich Haare verpflanzen lassen, was nicht ehrenrührig ist, zumal da es ja eigene Haare waren. (Vielleicht wäre es für Männer wie Toni Hofreiter oder Helmut Markwort auch angebracht, Haarspendeausweise mit sich zu tragen.) Wenn wir schon bei Politikern sind: Der Rechercheverbund von SZ, NDR und WDR hat starke Hinweise darauf, dass sich Donald Trump wirklich das Haarkleid eines blond gefärbten Meerschweinchens auf den Kopf hat transplantieren lassen. Aber sagen Sie das nicht weiter. (Geben Sie mal in einer Suchmaschine den Satz ein: âTrumpâs hair runs offâ und Sie werden ein allerliebstes Foto finden.) In Deutschland leben wir seit geraumer Zeit in einem eigentlich völlig undeutschen Klima des anything goes, was sich nicht nur auf Formen des Zusammenlebens oder der politischen Orientierung, sondern auch auf die Haare bezieht. Wer ein wenig oder gar ein wenig mehr älter ist, der weiÃ, dass vor fünfzig Jahren, als Willy Brandt regierte, die Länge der Haare bei Männern in einer haarmäÃig sehr normierten Gesellschaft wirklich noch das war, was man heute ein Statement nennt. Bei Frauen übrigens war das schon damals weniger normiert. Allerdings gab es auch komische Sachen, zum Beispiel groÃe Haarteile. Meine Mutter hatte so ein Ding, rehbraun, und wenn es bei Dunkelheit im Bad lag, habe ich mich als Kind manchmal davor gefürchtet, fast mehr als vor dem Gebiss meiner Oma im Wasserglas. Waren wirklich andere Zeiten. Heute ist es nahezu wurscht, was Männer auf dem Kopf haben. Der eine, etwas über 50, wäre gerne 41 und hat aus Ãberzeugung und Notwendigkeit einen raspelkurz geschorenen Schädel, wie man ihn früher nur bei der Fremdenlegion trug. Der andere sieht so aus, dass man ständig das Gefühl hat, er solle mal zum Friseur gehen, obwohl es viele gibt, die längere Haare haben als er. Der dritte hat, so meint man, noch nicht recht gemerkt, dass die 80er-Jahre vorbei sind, oder er möchte gerne, dass sie wiederkommen, weil er die Haare nach hinten gegelt hat, als sei er ein enger Mitarbeiter von Gordon Gekko, dem Mann von der Wall Street. Und natürlich sind da auch die sehr vielen, die einfach irgendwie Haare haben, rechts oder links oder gar nicht gescheitelt, verwurstelt, halt so Zeug auf dem Kopf. Unter denen gibt es etliche wie Markus Söder, eher drahthaarig, die gerade jetzt das Gefühl haben, sie müssten wieder mal zum Friseur. Der Friseur, Sie wissen es, wird wahrscheinlich erst wieder in der ersten Maiwoche aufmachen. Das gibt uns Zeit, darüber nachzusinnen, dass man sich schlieÃlich auch die Haare selbst schneiden kann. Früher war das auch bei Buben eine bewährte Methode: Sie bekamen einen kleineren Kochtopf aufgesetzt, und alles was darunter hervorlugte, wurde weggeschnitten. Auch die âMethode Marineinfanterieâ ist einfach umzusetzen. Man braucht nur einen stärkeren Rasierapparat, vielleicht Modell Gorkow, den man in einigen gleichmäÃigen Bahnen über den Kopf zieht. Schon in der Bibel, im Alten Testament, heiÃt es bei Jeremia im Kapitel 7: Schneide deine Haare ab und wirf sie von dir und wehklage auf den Höhen. Ãberhaupt sollte man gerade als Langhaariger die Bibel kennen. Es gilt da diese Geschichte vom Schicksal des Abschalom, eines Sohns König Davids, zu bedenken. Abschalom (früher auch Absalon) hatte langes Haar und revoltierte, wenn auch nicht deswegen, gegen seinen Vater. Im Zweiten Buch Samuel ist der tragische Ausgang des Ganzen nachzulesen: Abschalom verlor die Schlacht gegen Davids Soldaten, und auf der Flucht blieb er mit seinem langen Haupthaar in einem Baum hängen. Joab, ein Hauptmann von König David, tötete ihn mit drei SpieÃen. Vielleicht war einer der letzten Gedanken des Abschalom ja auch: âUnd ehrlich, ich hätte mal wieder zum Friseur gehen sollen.â Ich wünsche Ihnen Gesundheit, frohen Mut sowie die baldige Möglichkeit, sich wieder die Haare schneiden zu lassen. Kurt Kister Chefredakteur
|
|
| | | | | | | NEU | | Der SZ-Podcast mit Axel Milberg | | Milbergs literarischer Balkon: Der Schauspieler, âTatortâ-Kommissar und vielfach ausgezeichnete Hörbuch-Interpret Axel Milberg liest in unserem neuen SZ-Podcast seine Lieblingstexte und ergänzt sie um persönliche Kommentare â passend zur Lage, immer heiter und gelegentlich melancholisch. Montag bis Freitag erscheint eine neue Folge auf SZ.de, in Spotify, iTunes und allen gängigen Podcast-Apps. | | |
|
|
| | | | | | | Entdecken Sie unsere Apps: | | | |
| |
---|
| | | Impressum: Süddeutsche Zeitung GmbH, Hultschiner StraÃe 8, 81677 München Tel.: +49 89 2183-0, Fax: +49 89 2183 9777 Copyright ©Süddeutsche Zeitung GmbH. Artikel der Süddeutschen Zeitung lizenziert durch DIZ München GmbH. Weitere Lizenzierungen exklusiv über www.diz-muenchen.de Sie erhalten den Newsletter an die E-Mail-Adresse newsletter@newslettercollector.com. Wenn Sie den âDeutscher Alltagâ-Newsletter nicht mehr erhalten möchten, klicken Sie bitte hier. | Datenschutz | Kontakt | Abmeldung | |
|
|
|