Von Tanit Koch
● Bürgergeld: Lindner will sparen |
● Bauen: Ampel-Ziel illusorisch |
● Smartphone: Auge schlägt Ohr |
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Liebe Leserin, Lieber Leser, vor circa hundert Jahren hat Thomas Gottschalk mal fremder Frauen Hände und Knie getätschelt. Natürlich rein dienstlich, live im ZDF. Daraus hat er nun die logische Konsequenz gezogen, nie wieder allein mit einer Frau in den Fahrstuhl zu steigen. „Was mache ich“, schilderte der Showmaster dem „Spiegel“ seine Not, „wenn sie im zweiten rausrennt und ruft: #MeToo, der hat mich angefasst!“ In der Tat. Ich frage ich mich auch ständig, wo die Warnschilder an Aufzügen bleiben, um endlich das gesellschaftliche Problem dieser #MeToo-schreienden Frauen in den Griff zu bekommen. Kleiner Reality-Check: Als #MeToo im Jahr 2017 europaweit die Parlamente erschütterte, blieb der Bundestag skandalfrei. Deutsche Abgeordnete sind nun mal Gentlemen. Oder, abwegiger Gedanke, hatten (und haben) die Frauen im Bundestag einfach keine Lust, für den weiteren Verlauf ihrer Karriere das Post-It „MeToo-Schreierin“ auf der Stirn zu tragen? Die Mitarbeiterin eines MdB erzählte mir damals, leider ohne Namen zu nennen, auf den Bundestagsfluren würden sich Frauen schon mal „fraktionsübergreifend“ warnen, zu welchen Herren man besser Abstand hält. |
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| Gisèle Pelicot verfolgt jeden Sitzungstag im Gerichtssaal (© imago-images) |
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Und so mendelt sich das Grabscher-Gen durch, nicht nur in der Politik. Betroffene lassen es oft auf sich beruhen, weil Aussage gegen Aussage stünde, oder aus Scham. In Frankreich erlebt die Welt gerade, wie eine Frau die Scham dazu zwingt, die Seite zu wechseln. In ihrem Fall geht es um viel mehr als Grabschen. Gisèle Pelicot wurde von ihrem Ehemann Dominique jahrelang betäubt und zur Vergewaltigung freigegeben. 51 Männer zwischen 26 und 74 Jahren sind angeklagt, überwiegend Familienväter mit bürgerlichen Berufen. Das ganze Ausmaß des Verrats und die abstoßenden Details – auf Video aufgezeichnet – kennen wir nur, weil Gisèle Pelicot durchgesetzt hat, dass wir davon erfahren. Damit die Taten öffentlich werden – und die Täter. Viele von ihnen beharren darauf, nicht gewusst zu haben, dass sie die bewusstlose Frau vergewaltigen. Der Ehemann habe ja zugestimmt, das muss ein Sex-Spiel gewesen sein… Gestern betrat die 71-Jährige im Strafprozess in Avignon zum ersten Mal den Zeugenstand: Sie höre von vielen Frauen und von Männern, wie mutig sie sei. „Ich sage: Es ist kein Mut, es ist der Wille und die Entschlossenheit, die Gesellschaft zu verändern.“ Andere Opfer sollen wissen: „Madame Pelicot hat es geschafft, dann schaffen wir es auch. Wenn man vergewaltigt wird, ist da Scham. Und nicht wir sollten uns schämen – sondern sie.“ In Deutschland sind die Fälle von Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch von Frauen zwischen 2014 und 2023 auf 62.404 gestiegen. Das ist ein Plus von fast 89 Prozent. Vielleicht kann Madame Pelicot auch diesen Opfern Kraft geben. Was sind Ihre Gedanken zu diesem Strafprozess? Schreiben Sie uns: feedback@focus-magazin.de |
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| ifo-Chef Clemens Fuest (© imago-images) |
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Mindestlohn: Kritik an SPD-Plänen |
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Der SPD-Plan, den Mindestlohn auf 15 Euro zu erhöhen, stößt auf Kritik. Ihn zum Wahlkampfthema zu machen, berge die Gefahr, dass er seine „Orientierung an den Arbeitsmarktbedingungen“ verliere, sagte ifo-Präsident Clemens Fuest dem FOCUS. „Das kann erheblichen Schaden anrichten.“ Der Ökonom fordert, dass die Bundesregierung den Empfehlungen der Mindestlohnkommission folgt, die Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern einbezieht. Löhne könnten dauerhaft nur steigen, wenn Arbeit produktiver werde: „Dass die Politik das anordnet, reicht nicht.“ Die wirtschaftspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion, Julia Klöckner, kritisiert: „Die Politik muss ihren Einfluss auf die Lohnfindung wieder zurückfahren.“ Sie wirft der SPD vor, „mit populistischen Versprechen“ im Wahlkampf punkten zu wollen. Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung befürchtet fast jeder fünfte Betrieb in Deutschland, bereits bei einer Erhöhung auf 14 Euro Stellen abbauen zu müssen. Aktuell liegt der Mindestlohn bei 12,41 Euro. |
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| Unter Spardruck: Finanzminister Christian Lindner (FDP) (© dpa) |
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Lindner will Milliarden beim Bürgergeld sparen |
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Vorstoß: Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will Bürgergeld-Empfängern künftig ihre Wohnkosten nur pauschal erstatten. Einsparmöglichkeiten sieht er auch bei den Leistungen für Flüchtlinge. „Ukrainer müssen wegen des Krieges in ihrer Heimat nicht eigens ein Asylbewerberverfahren durchlaufen“, sagte Lindner der „WiWo“. „Sie sollten aber auf der anderen Seite nicht gleich ein Bürgergeld erhalten.“ Realität: Kommunen zahlen (unterstützt vom Bund) in bestimmten Grenzen u.a. Miete, Betriebskosten und Heizung nach den tatsächlichen Kosten. 65 Prozent der Ukraine-Flüchtlinge beziehen Bürgergeld, ein hoher Wert im Vergleich zu anderen Nationalitäten. Im europäischen Schnitt integriert Deutschland auch nur wenig Ukrainer in den Arbeitsmarkt. Reaktionen: SPD-Innenpolitiker Lars Castellucci bezeichnet Lindners Vorstoß als „zynisch“. Zustimmung kommt von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU): „Christian Lindner hat Recht – aber warum kam das nicht schon lange?“ Deutschland brauche eine „grundlegende Wende in der Migrationspolitik“, dazu gehöre das Ende des Bürgergelds für Ukraine-Flüchtlinge. |
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| Neubauten im Münchner Stadtteil Freiham (© picture alliance) |
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ifo-Prognose: Wohnungsbau vor drastischem Rückgang |
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Das ifo Institut rechnet mit einer dramatischen Talfahrt beim Wohnungsbau. Im laufenden Jahr dürften nur noch 250.000 neue Wohnungen fertig werden, so ifo-Bauexperte Ludwig Dorffmeister zum FOCUS Briefing. 2025 könnten es sogar nur 205.000 werden. Zum Vergleich: 2023 wurden bundesweit 294.400 Wohnungen gebaut. Das Ziel der Bundesregierung von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr sei unter den aktuellen Rahmenbedingungen „total illusorisch“, so Dorffmeister. Der Ökonom sieht die Gründe u.a. in den deutlich höheren Zinsen und Baukosten (plus 40 Prozent seit 2021). Damit dürften „die Mieten und die Immobilienpreise insgesamt weiter steigen“. In Berlin oder Hamburg lagen die Neumieten im zweiten Quartal bereits um acht Prozent über dem Vorjahr. |
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| Will die Wirtschaft ankurbeln: Bundesminister Robert Habeck (Grüne) (© dpa) |
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Harsche Kritik an Habeck – und ein bisschen Lob |
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Wirtschaftsminister Robert Habecks Plan, Unternehmens-Investitionen mit pauschal zehn Prozent zu fördern, stößt auf geteilte Reaktionen. In der Bundesregierung heißt es, das Vorgehen sei nicht abgestimmt und habe wenig Aussicht auf Erfolg. Union: „Habecks so genannter Deutschlandsfonds ist nicht anderes als ein Neuer-Schulden-Fonds“, kritisiert CDU-Politikerin Gitta Connemann, die Chefin der Mittelstands- und Wirtschaftsunion, und fördert „einige wenige, die nach ‚sozial-ökologischen Standards‘ à la Grün genehm sind.“ Die Union fordert „strukturelle Entlastungen für alle“. Ampel: SPD-Generalsekretär Matthias Miersch äußerte sich positiv, SPD-Wirtschaftsexpertin Verena Hubertz nicht: „Zu einem richtigen Fonds gehört noch mehr Zukunftsanlage und nicht nur staatliches Geldausgeben. Das bedeutet auch, privates Kapital einzusammeln, zu bündeln und zu lenken.“ Auch die Liberalen sind nicht begeistert. Wirtschaft: Das Echo unter Ökonomen ist gemischt. „Die Investitionsprämie könnte eine neue Dynamik auslösen“, sagte Michael Hüther, Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft. Andere sehen den Plan kritisch. |
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13 Prozent: So stark ist die Zahl der Neugeborenen zwischen 2021 und 2023 Vorjahr gesunken – auf 693.000. Grund: Corona, Ukraine-Krieg und Inflation. In Ostdeutschland war der Rückgang mit 17,5 Prozent noch höher, so die ifo Niederlassung Dresden – wegen der stark rückläufigen Zahl der Frauen dort zwischen 27 und 36 Jahren. |
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| Smartphone: Unser Gehirn kann Nachrichten-Schnipsel in Sekundenbruchteilen erfassen (© EPA) |
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Unser Gehirn – wie fürs Smartphone gemacht |
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Unsere Smartphones bombardieren uns unablässig mit Worten – per WhatsApp, im FOCUS Briefing oder als Untertitel von Videoclips. Experimente von Linguisten und Psychologen an der New York University haben nun gezeigt: Unser Gehirn kann diese Textfetzen extrem schnell dechiffrieren – innerhalb von etwa 150 Millisekunden, der Dauer eines Wimpernschlags. „Mit einem Blick, in der Zeit, die es braucht, eine einzige Silbe zu hören, erfassen wir Struktur kurzer Sätze“, sagt Liina Pylkkänen, die Hauptautorin der Studie. Das Auge schlägt das Ohr. Innerhalb von 400 Millisekunden korrigiert unser Verstand kleinere Fehler, bringt etwa Sätze wie „alle sind Katzen nett“ in die richtige Reihenfolge. Es scheint, als wäre unser Gehirn für das Smartphone wie geschaffen – und umgekehrt. |
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Gewinnerin: Vor einem Vierteljahrhundert, am 14. Oktober 1999, feierte ihre Sendung Premiere! Längst ist der Polit-Talk von Maybrit Illner (59) eine Instanz im ZDF. Heute kommt die 1000. Ausgabe. Illners einziger Gast: Olaf Scholz (SPD). Ob der Kanzler zur Feier des Tages Happy Birthday haucht – und vielleicht sogar ein bisschen Tacheles redet? Ab 22.15 Uhr wissen wir mehr. | |
Verlierer: Vor 68 Jahren schlug die Rote Armee den ungarischen Volksaufstand blutig nieder, 3000 Menschen starben. Zum Jahrestag rief Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban (61) seine Landsleute auf, sich der EU so zu widersetzen wie damals den Sowjets: „Beugen wir uns dem Willen einer fremden Macht, diesmal aus Brüssel, oder widersetzen wir uns ihr? Ich schlage vor, dass unsere Antwort so klar ausfällt wie 1956.“ Völlig geschichtsvergessen. | |
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…diskutieren die Ministerpräsidenten gerade, ob unsere Rundfunkbeiträge um 58 Cent auf 18,94 pro Monat steigen sollen. Pünktlich dazu hat die ARD ihre Reichen-Liste veröffentlicht, also die Intendantengehälter. Die Top 3: WDR-Chef Tom Buhrow mit 413.100 Euro, SWR-Boss Kai Gniffke mit 392.530 Euro und NDR-Mann Joachim Knuth mit 356.178 Euro. | | Tritt Ende 2024 ab: Tom Buhrow (WDR) (© dpa) | Rechnet man die Extras dazu, verdienen alle drei mehr als der Bundeskanzler. Allerdings bekommen auch einige AOK- und Sparkassen-Vorstände mehr Jahresgehalt als Olaf Scholz, der um die 360.000 Euro erhält. Sein britischer Kollege Keir Starmer macht da große Augen. Er bekommt umgerechnet 200.500 Euro, BBC-Chef Tim Davie hingegen 630.000 Euro. Bei der BBC gibt es allerdings nur einen Chef, nicht neun. Herzlich | | Tanit Koch |
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