| | | | | 21. April 2024 | | Prantls Blick | | Die politische Wochenschau | | | |
|
| | | Prof. Dr. Heribert Prantl | | | |
|
| |
|
| | | der Kanzler will eine groÃe Rede halten, eine Festrede; er will am Montag in Berlin den dreihundertsten Geburtstag des Philosophen Immanuel Kant feiern. Das überwältigende Interesse an dessen Philosophie lässt sich âmit der Sorge um den Zustand unserer Welt erklärenâ. So hat das der Bundespräsident vermutet, als er vor zwei Tagen im Schloss Bellevue die Ausstellung eines handschriftlichen Auszugs aus Kants Werk âZum Ewigen Friedenâ eröffnet hat. Zum ewigen Frieden! Ist das ein bitterer Scherz? Eine wohlmeinende Phantasie? Eine Utopie? Eine verzweifelte Mahnung? Man denkt an den Nahen Osten, man denkt an Putin und die Ukraine ⦠und stöhnt. Vielleicht schmunzelt man auch verlegen, vielleicht ist man melancholisch oder, trotz alledem, hoffnungsvoll. Schon zu Kants Zeiten war es so, dass man den Titel âZum ewigen Friedenâ mit Blick auf die Weltlage eigentlich nur ironisch oder satirisch verstehen konnte: Den Schriftzug âZum ewigen Friedenâ hatte damals ein holländischer Gastwirt aufs Schild an seiner Wirtshaustür geschrieben und wollte damit auf den nahegelegenen Friedhof verweisen. Gleich am Anfang seines Buchs nimmt Kant mit mutiger Ironie auf das Wirtshausschild Bezug. Aber für ihn ist die Idee vom ewigen Frieden weder eine Schnapsidee noch eine, die erst im Tod eine Chance hat. Frieden, so Kant, fällt nicht vom Himmel, er liegt nicht in der Natur des Menschen, sondern muss mit dem festen Willen, unbeirrbarer Vernunft und politischer Kraft gestiftet und bewahrt werden. Frieden stiften â genau das ist, genau das wäre die Aufgabe heute. Wer stiftet? Wo sind die Mutigen? Es wäre eine Sensation, wenn Kanzler Olaf Scholz in seiner Festrede auf Immanuel Kant Vorschläge dafür hätte. Und ein angemessenes Geburtstagsgeschenk für den Philosophen wäre das auch. Oma kannte Kant nicht, aber ⦠Meine GroÃmutter (ich habe in meinem Letter schon einige Male dankbar von ihr erzählt) kannte Kant nicht; sie war nicht studiert, sie war aber eine Friedensphilosophin des Alltags. Das Buch, das sie immer wieder studierte, war nicht das vom ewigen Frieden, sondern die Bibel. Sie hatte vierzehn Kinder geboren. In ihrem Zimmer stand eine groÃe Holzkiste, darauf in Sütterlin-Schrift die Aufschrift âDer Kriegâ. Darin befanden sich Briefe, die ihre Söhne und Schwiegersöhne von allen Fronten des Zweiten Weltkriegs nach Hause geschrieben hatten. Bisweilen saà sie auf dieser Kiste und erzählte vom Krieg. Was würde GroÃmutter heute sagen, wenn sie noch lebte? âSchreib was Bubâ, würde sie sagen, âschreib was gegen den Krieg.â Und sie würde mir dann vom Ersten Weltkrieg erzählen, davon, wie der Krieg auf einmal da war, mitten im schönsten August und wie die Menschen damals erst jubelten und dann verzweifelten. âSchreib was, Bub. Schreib was gegen den Kriegâ. Das habe ich nun, gut zwei Jahre nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs, auf 240 Seiten in einem soeben erschienen Buch getan. Ich habe über Kant geschrieben und über Martin Luther King, über Gewalt und Pazifismus, über die Kraft und die Ohnmacht der Gewaltlosigkeit. âDen Frieden gewinnenâ heiÃt das Buch. Von all den Büchern, die ich geschrieben habe, ist es vielleicht das Wichtigste.
| |
|
| | | Sternstunden des Pazifismus | | |
|
|
| |
| Ich wünsche Ihnen eine gute Woche. Es ist die Kant-Woche. | |
|
| Heribert Prantl | | Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung |
| |
---|
| |
|
| | | | | | | Opa, ich bin Dein Gedächtnis | | Es ist dies ein Roman über die zwei schwierigsten Themen, die es gibt; es ist dies nämlich ein Jugendbuch über den Krieg und über die Demenz. Es ist ein trauriges und ein lustiges, ein bewegendes und berührendes Buch. Es ist ein im Wortsinn ver-rücktes Buch, es ist nämlich eines, das seinen Frieden macht mit dem Krieg und seinen Frieden mit der Demenz. Kai ist ein elfjähriger Junge, sein GroÃvater ist hundert; Opa war im Krieg, er hat nur noch ein Auge, aber dafür seine heldenhaften Kriegserlebnisse, die er seinem Enkel immer wieder erzählt hat, die er jetzt aber vergisst. Er vergisst alles, er vergisst, dass ihm, angeblich, an einem einzigen Tag sieben Orden verliehen worden sind und dass, angeblich, er es war, der den Krieg beendet hat. Manchmal vergisst der Opa sogar, dass er einen Enkel hat, der Kai heiÃt. Der Schriftsteller Zoran Drvenkar (der in Kroatien geboren wurde und als Dreijähriger mit seinen Eltern nach Berlin zog) beschreibt wunderbar einfühlsam, wie der Elfjährige dieses groÃe Vergessen erlebt: âJedes Mal, wenn Kai seinen GroÃvater besucht, ist es, als würden sie zusammen einen Berg besteigen und dabei einen Stein vor sich herrollen. Und immer, kurz bevor sie den Gipfel erreichen, macht Opa eine Verschnaufpause und Kai kann den Stein nicht mehr allein halten, und so rollt dieses blöde Ding wieder runter und alles beginnt von vorne. Der Stein ist Opas Gedächtnis und Kai fürchtet sich davor, dass der Stein irgendwann zu schwer wird und sie es nicht mehr bis zum Berggipfel schaffen. Zwischendurch gibt es auch Tage, an denen sein GroÃvater alles weià und nichts vergisst. Aber diese Tage werden immer weniger. Und weil das so ist, ändert Kai seine Taktik. Er will Opa retten und wenn man jemanden retten will, muss man manchmal besonders erfindungsreich sein. Und so sagt er: âIch bin Kai, Opa, ich bin dein Gedächtnis.ââ Kai entführt seinen Opa in dessen Vergangenheit und erlebt verstört, dass dessen Heldenerzählungen der Wirklichkeit nicht standhalten. Das alles hat aber nichts Abrechnendes, nichts Entlarvendes. Kai liebt seinen Opa, auch wenn der kein Held war. Er kann in Frieden leben mit seinem GroÃvater. Zoran Drvenkar: Kai zieht in den Krieg und kommt mit Opa zurück. Das Jugendbuch ist 2023 im Hanser-Verlag erschienen, es hat 160 Seiten und kostet 17 Euro. | | | | |
|
| | | | | Dass ein gutes Deutschland blühe | | Die âKinderhymneâ von Bert Brecht ist eigentlich keine Hymne; sie ist ein versöhnliches, ein kraftvoll-zartes Liebeslied an ein Land. Vielleicht ist Deutschland nie so schön besungen worden wie in diesem Lied. Brecht hat den Text nach dem Zweiten Weltkrieg auf die bekannte Haydn-Melodie geschrieben. Er war das Gegenstück zu âDeutschland, Deutschland über allesâ, er war auch das Gegenstück zu Johannes R. Bechers âAuferstanden aus Ruinenâ, der Nationalhymne der DDR. In der Zeit der Wiedervereinigung setzten sich Bürgerinitiativen für die Kinderhymne als neue deutsche Nationalhymne ein. Die Schauspielerin Katharina Thalbach tat das damals auch, sie warb vergeblich dafür in einem Brief an die Bundesregierung. Daran erinnert sie in einem hinreiÃenden Interview in der SZ-Wochenendausgabe, das Mareen Linnartz mit ihr geführt hat. Die groÃartige Schauspielerin und Regisseurin, alle Theaterleute nennen sie âKathiâ, die kürzlich ihren siebzigsten Geburtstag im Berliner Ensemble begangen hat, erzählt aus ihrem Leben â intelligent und humorvoll.
| | | |
|
| | | | | Meinung | | Kommentare, Kolumnen, Gastbeiträge und Leserdiskussionen im Ãberblick | |
|
| | | | | | | | | | Entdecken Sie unsere Apps: | | | |
| |
---|
| | | Impressum: Süddeutsche Zeitung GmbH, Hultschiner StraÃe 8, 81677 München Tel.: +49 89 2183-0, Fax: +49 89 2183 9777 Registergericht: AG München HRB 73315 Ust-Ident-Nr.: DE 811158310 Geschäftsführer: Dr. Karl Ulrich, Dr. Christian Wegner Copyright © Süddeutsche Zeitung GmbH / Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH. Hinweise zum Copyright Sie erhalten den Newsletter an die E-Mail-Adresse newsletter@newslettercollector.com. Wenn Sie den âPrantls Blickâ-Newsletter nicht mehr erhalten möchten, können Sie sich hier abmelden. | Datenschutz | Kontakt | |
|
|
|