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Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Freitag, 20.11.2020 | Teils sonnig, teils bewölkt bei mäßigem Westwind und max. 6°C. | ||
+ Corona-Hilfen für Kneipen und Bars + Stasi-Akten gehen ins Bundesarchiv + Ungarn und Polen blockieren die EU + |
von Robert Ide |
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Guten Morgen, raucht Ihnen schon der Kopf? Ist ja kein Wunder, bei all dem in Berlin abgelassenen Dampf über die Pandemie und die von ihr verursachte Politik der Atemlosigkeit. Ja, die Welt sehnt sich nach neuer Normalität und alter Gewissheit. Doch niemand kann selbstgewiss, nur sich selbst gewiss, durchatmen, während Menschen aus unserer Mitte auf den Intensivstationen um Atemluft und ihr Leben ringen. Ihr Schicksal darf uns nicht egal werden; es kann auch jede und jeden von uns erwischen. Corona wird sich nicht in Luft auflösen – erst recht nicht, wenn man laut dagegen anschreit und im Internet, auf der Straße oder im Bundestag die Demokratie beschimpft. Oder gar auf Einladung der längst antiparlamentarisch agierenden AfD vom Volk gewählte Vertreterinnen und Vertreter im Parlament bedrängt (Hintergründe hier). Zeit, sich dieser Bedrängnis entgegenzustellen, mit klarem Kopf. Und zwischendurch sollten wir uns auch die Zeit nehmen, ein bisschen Ruhe reinzubringen in unser Leben, das jede und jeden von uns emotional in Unruhe versetzt. Falls Sie also mal in Ruhe sinnieren wollen über sich und die Welt, dann tun Sie das am besten mit dem Duft des kleinen Männchens aus dem Erzgebirge. Aktuell als Raachermännel zu haben ist jetzt Christian Drosten, Star-Virologe der Charité. Die duftende Holzfigur mit zerzausten Haaren, weißem Kittel und Mund-Nasen-Schutz steht auf einem ausgeschnitzten Virus (zu sehen hier). Der Weihrauch kommt nicht aus dem maskenbedeckten Mund. Sondern aus seinem Kopf, den er und viele andere sich zerbrechen. Damit jede und jeder von uns bald wieder seine innere Ruhe findet. | |||||
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Er breitet die Arme aus und schmettert seine Stimme über die Straße, an der sich mit anständigem Abstand und verwunderter Bewunderung immer mehr kleine Hausstand-Grüppchen sammeln. „O sole mio“, ein Liebeslied voller Leidenschaften, schallt über den Platz an der Gethsemanekirche in Prenzlauer Berg. Günther Stolarz durchbricht als Bariton die Stille, die sich in Corona-Zeiten über das kiezstädtische Leben legt. Begleitet wird er von seiner Partnerin Isabel Schumann am fix aufgestellten Klavier – beide begeistern die schnell Stehenbleibenden mit launigen Liedern im Lockdown. In unregelmäßiger Regelmäßigkeit treten sie auf – als private Pandemie-Tröster im öffentlichen Raum. Ein Trost auf dem Pflaster. „Eigentlich wollte ich Entertainer werden und habe Kabarett gemacht“, erzählt Stolarz am Checkpoint-Telefon. Der 41-Jährige wohnt mit seiner nicht nur musikalischen Begleiterin und ihrem sechs Wochen alten Baby, das den Auftritten schlafend im Kinderwagen beiwohnt, gleich um die Ecke. Nach Schließung der Konzertbühnen und Musiktheater haben sie ihre Kunst nach draußen verlagert – und ernten Applaus, Spenden und Dankbarkeit. „Die Menschen brauchen gerade Trost für die Seele und positive Begeisterung.“ Irgendwann nach der Pandemie will Stolarz gar nicht mehr nur noch drinnen auftreten. „Draußen kann ich beim Singen über die Straße laufen, da klingt der Schall zwischen den Häusern anders. Ich kann den Raum mehr ausfüllen, meine Stimme darf volle Tube geben.“ Und nebenbei können die lauschenden Menschen Abstand halten, denn Schumann und Stolarz treten vor allem auf größeren Plätzen im Berliner Norden auf – am kommenden Sonntag bei gutem Wetter wohl am Helmholtzplatz. Gerade spontanes Publikum braucht Platz: „Wenn ich merken würde, dass die Menschen zu eng stehen, würde ich aufhören, zu singen“, erzählt Stolarz. „Aber bisher war das nie der Fall.“ Und tatsächlich, beim Spontankonzert am Sonntag vor der Gethsemanekirche (Video hier) herrschte eine mit Abstand rührende, spontan berührende Stimmung. Denn die Kostenlos-Klassik ist zugänglich für alle. So wirbt die Kultur für sich selbst, zeigt mit hohen und tiefen Tönen, wie gewichtig sie ist – gerade in schwierigen Zeiten. Deshalb hat Stolarz wieder sein Lieblingslied im Programm: „An die Musik“ von Franz Schubert. Hören wir mal rein und gerne öfter zu: „Du holde Kunst, in wieviel grauen Stunden, Wo mich des Lebens wilder Kreis umstrickt, Hast du mein Herz zu warmer Lieb' entzunden, Hast mich in eine bessre Welt entrückt!“ | |||||
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Davon können wir alle ein Lied singen: Berlin lebt von seinen Kiezen. Und die Kieze leben vom Austausch, von leidenschaftlich recherchierten Informationen, von Namen und Nachrichten aus der Nachbarschaft. Deshalb erweitert der Tagesspiegel sein Angebot für die Berliner Bezirke über unsere „Leute“-Newsletter (Bestellung hier) hinaus. Ab kommendem Dienstag bieten wir Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, in der gedruckten Zeitung und im E-Paper (Probe-Abo hier) jede Woche acht Seiten extra mit Neuigkeiten und Hintergründen aus Pankow, Prenzlauer Berg, Weißensee, Mitte, Friedrichshain, Lichtenberg, Köpenick, Treptow, Marzahn, Hellersdorf und Hohenschönhausen. Im Osten gibt’s immer was Neues – und ich möchte Sie einladen, es gemeinsam mit uns zu entdecken. Ab jetzt an jedem Dienstag mit dem Besten aus fünf „Leute“-Newslettern, leidenschaftlich recherchiert von unseren Autorinnen und Autoren in Berlins Bezirken. Denn auch davon leben die Kieze: von der Neugier auf die Menschen um uns herum. | |||||
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Und weil wir gerade neugierig sind: Reden wir mal mit Sara Ann Rosa. Die 36-Jährige aus Magdeburg mischte jahrelang als Punkerin und Hausbesetzerin in Berlins Innenstadt-Szene mit, zuweilen war sie obdachlos und wurde dann aus Friedrichshain weggentrifiziert. Nun fotografiert sie in ihrer Plattenbau-Wohnung die Sonnenuntergänge von Hellersdorf und sagt beim Spazierengehen am Stadtrand Fuchs und Hase gute Nacht. Und am Tage denkt sie: „Es könnte wunderschön hier sein.“ Berlin hat viele besetzte Häuser verloren – eine Heimat der Freiheit, deren Bewohnerinnen und Bewohner aber auch ihre eigene Freiheit oft über die anderer stellten. Vor 30 Jahren erschütterte die Räumung der Mainzer Straße die ganze Stadt und vertrieb die Leichtigkeit des Mauerfalls nur einen November danach (meine Erinnerung hier). Heute sind die Bruchpunkte nicht mehr so brutal, aber auch nicht unsichtbar. Menschen wie Sara Ann Rosa (Interview von Masha Slawinski hier), die anders frei leben wollen, suchen neue Heimaten. Sie verändern so Berlin – und Hellersdorf wird zur helleren Mitte. | |||||
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Noch eine wärmende Botschaft: Nach unserem Checkpoint-Aufruf vor einer Woche, 2000 Schlafsäcke und Isomatten für Berlins Obdachlose zu sammeln, vermeldet Dieter Puhl von der Stadtmission: „Sagen Sie Ihren Leserinnen und Lesern bitte Danke: Sie kamen zuhauf und brachten vieles, manche haben sogar auf den Kauf eigener Weihnachtsgeschenke verzichtet, um stattdessen Schlafsäcke für Obdachlose zu kaufen. Ich finde das sehr berührend.“ Schlafsäcke und Isomatten sind nun erst mal ausreichend vorhanden. Die Stadtmission am Hauptbahnhof nimmt aber gern noch gut erhaltene Herrenbekleidung, wärmende Unterwäsche sowie Spenden für Nothilfepäckchen an, die an Bedürftige verteilt werden. So erwärmend kann Mitmenschlichkeit sein. Oder wie Dieter Puhl sagt: „Berlin ist schon irre gut.“ | |||||
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Sie sind ein Schatz der Ostdeutschen, ein vergifteter und dennoch wertvoller: 180 Kilometer verstaubtes und zum Teil immer noch zerrissenes Papier voller bürokratischer Registraturen und Geheimnamen, gleichzeitig voller Details schmutzigen Verrats und geplanter Erniedrigung: die Stasi-Akten. Die Unterlagen sind ein Teil des kleinen kollektiven Erbes, das sich Ostdeutschland selbst erobert hat – durch die Besetzung der Stasi-Archive nach dem Mauerfall und die weltweit einmalige Öffnung der Akten einer Geheimpolizei für die Öffentlichkeit. Schon das war eine friedliche Revolution. Nun gehen die Stasi-Akten ins Bundesarchiv über und bleiben dort zugänglich wie bisher. Das hat der Bundestag am Donnerstag beschlossen. Die Revolution wird vererbt. Roland Jahn, einst als DDR-Oppositioneller verfolgt und aus seiner Heimat rausgeworfen, wird als letzter Stasi-Akten-Beauftragter des neuen Deutschlands in die Geschichte eingehen. Der 67-Jährige hat stets betont, er wolle die Verantwortung zur Bewahrung der Geschichte weitergeben an die nächste Generation. Der Bundestag soll künftig einen Opferbeauftragten für die DDR-Diktatur bestimmen. Dieser muss versöhnend aufarbeiten, den Opfern eine stärkere, bestärkende Stimme geben und auf moderne Weise aufklären: über das Gift einer totalitären Geheimpolizei und das Erbe eines demokratischen Aufbruchs. Jahn sagt es so: „Aus dem Bundesbeauftragten für die Akten wird ein Bundesbeauftragter für die Menschen.“ Für die jüngeren Menschen muss dieser Mensch vor allem eines tun: ihnen auf eine neue Art nahebringen, was im Gestern war. Um im Heute für das Morgen zu lernen. | |||||
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Und was gibt uns Halt in diesen außergewöhnlichen Zeiten? Können wir trotz beschränkter Kontakte ein schönes Weihnachten mit Familie und Freunden feiern? Was lässt sich gegen Einsamkeit tun? In der neuen Serie „Weihnachten mit dem Tagesspiegel“ geben wir ab Sonnabend Tipps für eine besondere Zeit zu Hause. Die Serie startet am Wochenende in den gedruckten Ausgaben und auf einer digitalen Sonderseite mit kreativen Bastelideen für die Adventszeit und Rezepten für gesundes Gebäck. In weiteren Beiträgen wird erklärt, wie frau und man die eigene Psyche stärken kann, wie wir im Homeoffice fit bleiben und trotz sozialer Distanz Freundschaften pflegen können. Und an allen Adventssonntagen erscheint eine exklusiv geschriebene Vorlesegeschichte für Kinder. Denn egal, welche Wendung unsere Zeit nimmt: Weihnachten bleibt immer ein Fest der Zuwendung. | |||||
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Gibt’s denn wenigstens einen klirrig kalten Winter? „Es gibt einen Ort in Deutschland, an dem Heiligabend zu 100 Prozent Schnee liegt“, erzählt Andreas Friedrich vom Deutschen Wetterdienst am Checkpoint-Telefon: „auf der Zugspitze“. Am Rest des Landes rieselt der Schnee wohl wieder leise vorbei, denn: „Weiße Weihnachten sind so unwahrscheinlich wie jedes Jahr.“ Und das ist wahrscheinlich auch keine gute Prognose für uns, wie der Meteoromathematiker Friedrich vorrechnet: „Für Berlin gilt, dass es knapp alle 10 Jahre mal weiße Weihnachten gibt, also beträgt die Chance 10 Prozent.“ Wer also dieses Jahr darauf wettet und dann tatsächlich durchs Kreuzberger Skigebiet stapft, der hat sich was verdient, was Eigenes – ein Rodeldiplom. | |||||
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