es ist Herbst, und unsere deutschen Rilke-Herzen denken natürlich automatisch an treibende Blätter in den Alleen und an Winde, die der Herrgott über die Flure loslässt. In diesem Jahr denken sie vielleicht sogar besonders daran, denn in Europa herrscht nicht nur Wind, es herrscht Sturm. Putins Angriff auf die Ukraine hat weit mehr als nur buntes Blattwerk durcheinandergewirbelt. „Sturm über Europa – der Ukrainekrieg, die Energiekrise und geopolitische Herausforderungen“ lautet dementsprechend eine neue Gesprächsreihe, die Cicero in Zusammenarbeit mit der Berliner Zeitung gestartet hat. Im Berliner E-Werk war heute der Auftakt. Viktor Orbán, der Ministerpräsident von Ungarn, stand Cicero-Herausgeber Alexander Marguier und dem Verleger der Berliner Zeitung, Holger Friedrich, Rede und Antwort. Sie sprachen über den Völkerrechtsbruch in der Ukraine, die EU-Sanktionen gegen Russland – und darüber, wie der Krieg aus Orbáns Sicht beendet werden kann. Der hatte nämlich neben vielen interessanten Argumenten auch eine recht abseitige These mit nach Berlin gebracht: „Hoffnung für den Frieden heißt Donald Trump“. Wer übrigens heute im E-Werk nicht mit dabei sein konnte, für den haben wir die Veranstaltung auf Video aufgenommen. Hier kann man das ganze Gespräch nachhören und -sehen. Unter anderem auch die folgende These: „Mit Angela Merkel hätten wir keinen Ukrainekrieg“ Doch gehen wir von Ungarn nach Niedersachsen. Auch dort gibt es ja viel Gegend und manch herausstechende Phänomene. Die dortige SPD zum Beispiel. Die überraschte am vergangenen Sonntag mit einem hervorragenden Wahlergebnis, während die Beliebtheitswerte der Sozialdemokraten auf Bundesebene sinken. Das lag nach Meinung des Sozialwissenschaftlers Klaus Wallbaum zum Teil an der Schwäche der CDU und der FDP, aber vor allem an der Person des alten und neuen Ministerpräsidenten Stephan Weil, der den Wählern als verlässliche Kraft in der Wirtschaftskrise gilt. Nur ihm sei es zu verdanken, so Wallbaum, dass sich die SPD in Hannover vom Bundestrend abkoppeln konnte. Apropos abkoppeln: Haben Sie eigentlich auch manchmal Angst, dass man Sie im Winter vom Gas abkoppeln könnte? Die Expertenkommission der Bundesregierung hat jetzt eine Art Gaspreisdeckel vorgeschlagen: die einmalige Übernahme der Abschlagszahlung für den Monat Dezember, also praktisch eine Einmalzahlung, sowie eine Preisbremse für Privatkunden ab März. Weltbewegend ist das nicht, meint Cicero-Autor Daniel Stelter, für den die Hilfe zudem sozial unausgewogen und nicht zielgerichtet ist. Zudem hat sie nur Sinn, wenn gleichzeitig das Energieangebot ausgeweitet wird. Fazit: Der Gaspreisdeckel ist nicht weit entfernt vom Gießkannenprinzip. Koppeln wir also lieber mal etwas anderes ab: Die Deutsche Bahn zum Beispiel. Der Angriff auf die Bahn am vergangenen Wochenende hätte das fast geschafft. Zumindest legte er die Verwundbarkeit unserer kritischen Infrastruktur schmerzhaft offen. Über Jahre hinweg versäumte es die Politik, robuste Schutzmechanismen zu entwickeln. Mit dem Militärexperten Oberst Ralph Thiele sprach Cicero über die hybride Kriegsführung Putins und die gefährliche Naivität Deutschlands. „Angriffe auf die kritische Infrastruktur können Volkswirtschaften lahmlegen“, so Thieles Warnung. Ihr Ralf Hanselle, stellvertretender Chefredakteur |